Auf der Eselsbank · Märchen

Auf der Eselsbank · Märchen aus Europa · Fleiß Faulheit und Lohn

Als der liebe Gott alle Tiere geschaffen hatte, die Fische im Wasser, die Vögel in der Luft und alle Tiere des Landes, da befahl er, dass jedes von ihnen etwas lernen sollte zum Nutzen und zur Freude der Menschen.

Er schickte sodann einen Engel hinab auf die Erde, dass er jedem Lebewesen seine besondere Kunst lehre.

Auf der Erde ließ der Engel alle Tiere auf einem großen, freien Platz im Paradies zusammenkommen und machte ihnen den Willen des Schöpfers kund.

»Ich werde«, sprach er, »jedem seine Aufgabe genau vormachen. Gebt also gut acht! Und wenn ihr mir zugesehen habt, wie jedes Ding zu machen ist, so übt euch so lange, bis ihr es ordentlich könnt, damit ihr bald nützliche Geschöpfe werdet!«

Dann fing er an und lehrte den Fisch das Schwimmen, die Spinne das Weben, die Nachtigall das Singen und den Finken den kunstvollen Nestbau, die Katze das Fangen der Mäuse, die Kuh die Milchbereitung und so fort.

Jedes Lebewesen bekam eine andere Aufgabe und alle freuten sich über die nützliche Kunst und übten von früh bis spät.

Endlich kam auch der Esel an die Reihe. Der sollte ein Schnellläufer werden.

Aber so oft der Engel dem Esel auch den leichten Schritt, den raschen Gang oder den flinken Galopp vormachte, niemals brachte er ihn dazu, seine Füße rascher zu bewegen. Er trollte immer nur träge neben dem Engel her oder noch öfters hinter ihm drein.

Da wurde der Engel ungeduldig und rief leicht verärgert: »Mir scheint, dir ist das Lernen zuwider?« »Iaaah!« schrie der Esel.

»Also bist du faul?« »Iaaah!«

»Du willst lieber ein dummes Vieh bleiben, als etwas zu lernen und dem Menschen zu dienen?« »Iaaah!«

Das verdross den Engel gar sehr. Mit einer Rute in der Hand trieb er das faule Geschöpf aus den Reihen der vorderen fleißigen Tiere und stellte es zuhinterst in der Reihe im Garten Eden wieder an.

Der Esel schämte sich zwar etwas und weinte ein paar bittere Tränen; aber die Lust zum Lernen kam in ihm doch nicht auf.

Seitdem hat der Esel Karren zu ziehen, Säcke zu tragen und andere niedrige Dienste zu leisten, wofür er auch meist als Lohn nur Disteln und schlechtes Futter zum Fressen bekommt.

»Eselsbank« heißt daher auch der letzte Platz in der Schule bis auf den heutigen Tag.

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Autor: N. N.

Bewertung des Redakteurs:
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Das Unbewusste ist viel moralischer, als das Bewusste wahrhaben will.


Sigmund Freud