Zaubermacht der Sprache

Zaubermacht der Sprache · Alltagspsychologie

Lassen sie uns zurück blicken auf das merkwürdige, auf Wellen der Luft sich bewegende, in krausen Zeichen sich verfestigende, unablässig sich wandelnde und doch eine Wirklichkeit erschließende Gebilde, das sich uns als die Sprache darstellt.

Gewiss ist die Sprache vieldeutig und eine Quelle von Irrtümern, oft genug verwickeln wir uns in ihren Sätzen wie in Schlingen und lassen uns irreleiten von Worten wie von bösen Elfen. Aber daneben ist die Sprache doch, obwohl entstanden als Ausdruck unseres Innern, das mächtigste Mittel, die Außenwelt zu beherrschen.

Wir lächeln über Schamanen primitiver Völker, die da glauben, durch Worte Geister bannen, Kranke heilen und Tote erwecken zu können. Und doch vermag die Sprache das wirklich!

Haben die Sprache und ihre stolzeste Tochter, die Wissenschaft, nicht auch für uns die Welt von bösen Geistern befreit, die unsere Ahnen überall umlauerten? Haben wir nicht dank der Wissenschaft gelernt, Blinde sehend und Lahme gehend zu machen? Ja selbst die Toten leben uns dank ihrer Sprache!

Schlagen wir ein Buch auf, und aus seinen schwarzen Lettern tönt uns der Gesang Homers, redet Jesus Christus oder Mohamed zu uns, verstehen wir Leibnitz und Goethe. Denn die Bücher, die Schatzkammern der Sprache, sind ja die Testamente, in denen unsere besten Ahnen uns ihren Besitz vererben, sie sind die Samen, die wir selber in die Zukunft streuen.

Natürlich, »Medium« muss man sein, um diese Geister zu beschwören, Medium nicht im Sinn von Spiritisten, sondern in dem, dass wir die toten Buchstaben mit unserem Geist erfüllen. Ob damit wirklich auch das innerste Leben der Toten wach wird, wer wagt es zu behaupten?

Es ist vielleicht jeder Vorgang des Verständnisses ähnlich dem geschlechtlichen Zeugungsvorgang zu vergleichen, in dem aus der Vereinigung zweier Individuen ein Neues entsteht! Sind nicht oft in der Geschichte des menschlichen Geistes Missverständnisse die eigentlich bewegenden Kräfte der Entwicklung gewesen, Missverständnisse, die freilich mit Notwendigkeit in der Vitalität des »Mediums« vorangelegt waren und die fruchtbar und schöpferisch wurden, insofern die Vitalität des Mediums Exponent größerer Lebensmächte war.

Es mag sein, dass Aristoteles den Plato, Paulus den Jesus Christus und Fichte die Philosophie Kants missverstanden haben; aber diese Missverständnisse waren individuelle und historische Notwendigkeiten. Der Wert der Sprache ist nicht der, dass sie Gedanken wie in Spiritus konserviert, sondern dass sie neues Leben zeugt. Pereat veritas, fiat vita – Erst Wahrheit, dann Leben!

Daneben bleibt der Sprache natürlich auch die Macht, sich dem Leben entgegen zu stemmen, Dauer im Wandel zu schaffen, das Leben des Bewusstseins zu objektivem Geist zu verdichten und das Geist-Erzeugte fest zu bewahren.

Mögen auch die Wellen des Lebens diese festen Elemente hin- und herzerren, eine relative Festigkeit bleibt ihnen doch. In der objektiv gewordenen Sprache haben wir eines jener geistigen Kultursysteme vor uns, die — obwohl aus dem Leben erwachsend — sich dennoch dem Leben als feste Gebilde entgegenstellen, und wir stehen damit vor dem großen Widerspruch, den jede Philosophie des Lebens zugeben muss, dass das Leben Gebilde schafft, die selber lebensfremd, ja lebensfeindlich sind.

Zaubermacht de Sprache · R.M.F · Alltagspsychologie

Glück entsteht oft durch Aufmerksamkeit in kleinen Dingen, Unglück oft durch Vernachlässigung kleiner Dinge.

Wilhelm Busch