Unverhofftes Wiedersehen

Unverhofftes Wiedersehen · Johann Peter Hebel · Schweden

In Falun in Schweden küsste vor gut fünfzig Jahren oder mehr ein junger Bergmann seine junge hübsche Braut und sagte zu ihr: »Auf Sankt Luciä wird unsere Liebe von des Priesters Hand gesegnet. Dann sind wir endlich Mann und Frau und bauen uns ein eigenes Nest.«

»Und Friede und Liebe soll darin wohnen«, sagte die schöne Frau mit holdem Lächeln; »denn du bist mein Einziges und Alles, und ohne dich möchte ich lieber im Grab sein als an einem anderen Ort.«

Als sie aber vor Sankt Luciä der Pfarrer zum zweiten Mal in der Kirche ausgerufen hatte: »Hat noch jemand einen Grund anzuzeigen, warum diese Personen nicht ehelich zusammenkommen sollen?«, da meldete sich der Tod.

Und als der Jüngling am anderen Morgen in seiner schwarzen Bergmannskleidung an ihrem Haus vorbeiging – der Bergmann hat sein schwarzes Totenkleid ja immer an -, da klopfte er zwar noch einmal an ihrem Fenster und sagte ihr guten Morgen, aber keinen guten Abend mehr.

Er kam nicht mehr aus dem Bergwerk zurück, und sie säumte vergeblich an diesem Morgen ein schwarzes Halstuch mit rotem Rand für ihn zum Hochzeitstag. Da er nimmer kam, legte sie es weg und weinte um ihn bitterlich und vergaß ihn nie.

Und das Jahr ging weiter und die Bauern säten und schnitten, der Müller mahlte, die Schmiede hämmerte und die Bergleute gruben weiter nach Metalladern in ihrer unterirdischen Werkstatt.

Als aber die Bergleute in Falun nach vielen Jahren, wieder um die Zeit des Johannistags, zwischen zwei Schächten eine Öffnung durchgraben wollten, gute dreihundert Ellen tief unter dem Boden, da gruben sie aus dem Schutt und Vitriolwasser den Leichnam eines Jünglings heraus, der ganz mit Eisenvitriol durchdrungen, sonst aber unverwest und unverändert war.

Und als sie seine Gesichtszüge und sein junges Alter sahen, kam es ihnen vor, als wenn er erst vor einer Stunde gestorben oder nur ein wenig eingeschlafen wäre bei der Arbeit.

Als man ihn dann zutage gefördert hatte, Vater und Mutter, Freunde und Bekannte waren ja schon lange tot, wollte kein Mensch den schlafenden Jüngling kennen oder etwas von seinem Unglück wissen.

Da erreichte die Nachricht vom geborgenen toten Bergmann auch die ehemalige Verlobte des Bergmannes, der eines Tages auf die Schicht gegangen war und nicht mehr zurückkehrte.

Grau und zusammengeschrumpft kam sie an einer Krücke zum Platz und erkannte ihren Bräutigam und mehr mit freudigem Entzücken als mit Schmerz sank sie auf die geliebte Leiche nieder. Und erst als sie sich von einer langen heftigen Bewegung des Gemüts erholt hatte, sagte sie: »es ist mein Verlobter«.

Weiter sagte sie: »Es ist mein Verlobter, um den ich fünfzig Jahre lang getrauert hatte und den mich Gott jetzt noch einmal sehen lässt vor dem Ende meiner Tage. Acht Tage vor unserer Hochzeit ist er auf die Grube gegangen und nicht mehr wieder gekommen.«

Da wurden die Gemüter aller Umstehenden von Wehmut und Tränen ergriffen, als sie die ehemalige Braut, jetzt in der Gestalt des hingewelkten kraftlosen Alters, und den Bräutigam noch in seiner jugendlichen Schönheit sahen.

Da entfachte sich in der Brust der Verlobten nach fünfzig Jahren wieder die Flamme der jugendlichen Liebe und sie wünschte sich, dass er noch einmal erwache, aber er öffnete den Mund nicht mehr zum Lächeln und die Augen blieben geschlossen zum Wiedererkennen.

Sodann lies sie ihn von den Bergleuten in ihre Stube tragen, als die einzige, die ihm angehöre und ein Recht an ihm habe, bis sein Grab gerüstet wäre auf dem Friedhof.

Am anderen Tag, als das Grab gerüstet war und die Bergleute den Leichnam wieder abholten, schloss sie ein kleines Kästchen auf, legte ihm das schwarz-seidene Halstuch mit roten Streifen um und begleitete ihn in ihrem Sonntagsgewand, als wenn es ihr Hochzeitstag und nicht der Tag seiner Beerdigung wäre.

Als dann der Leichnam auf dem Kirchhof ins Grab gelegt wurde, sagte sie mit weinender Stimme: »Schlafe nun wohl, mein Lieber, noch einen Tag oder zehn im kühlen Hochzeitsbett, und las dir die Zeit nicht lang werden! Ich habe nur noch wenig zu tun und komme auch bald, und bald wird es wieder Tag werden.«

»Was die Erde einmal wiedergegeben bat, wird sie zum zweitenmal auch nicht behalten«, sagte sie, als sie fortging und noch einmal umschaute.

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Autor: Johann Peter Hebel

Bewertung des Redakteurs:
4

Das Gegenstück zum äußeren Lärm ist der innere Lärm des Denkens. Das Gegenstück zur äußeren Stille ist innere Stille jenseits der Gedanken.

Eckhart Tolle