Das Sonnengleichnis

Das Sonnengleichnis · Antike Philosophie · Platon 

Das Sonnengleichnis ist ein bekanntes Gleichnis der antiken Philosophie. Es stammt vom griechischen Philosophen Platon (428/427–348/347 v. Chr.), der es im sechsten Buch seines Dialogs Politeia von seinem Lehrer Sokrates erzählen lässt.

Anschließend trägt Sokrates das Liniengleichnis vor, mit dem das sechste Buch endet. Am Anfang des siebten Buches folgt das Höhlengleichnis, das letzte der drei berühmten Gleichnisse in der Politeia. Alle drei Gleichnisse veranschaulichen Aussagen von Platons Ontologie und Erkenntnistheorie. 

In den drei Gleichnissen wird spezifisch platonisches Gedankengut vorgetragen. Der platonische Sokrates, der hier als Sprecher auftritt und die Gleichnisse erzählt, ist eine literarisch gestaltete Figur. Seine Position kann daher nicht mit der des historischen Sokrates gleichgesetzt werden. 

Im Sonnengleichnis versucht der platonische Sokrates das Gute, statt es direkt zu definieren, gleichnishaft zu veranschaulichen. Er vergleicht es mit der Sonne: Wie im Bereich des Sichtbaren die Sonne als Quelle des Lichts die alles beherrschende Macht ist, so herrscht in der geistigen Welt das Gute als Quelle von Wahrheit und Wissen.

Platon 
Auszug aus: Der Staat (Politeia) 
Sonnengleichnis 
Sokrates zu Glaukon: 

Hast du denn nun auch, fragte ich, schon bemerkt, wie der Schöpfer der Sinne das Vermögen des Sehens und Gesehenwerdens viel edler geschaffen hat?

Nicht doch, antwortete er.

Nun, so gib einmal acht: Bedarf Gehör und Stimme irgend eines anderen Dinges dazu, damit das eine hört, die andere gehört wird, so dass in Ermangelung jenes Dritten das eine nicht hören, die andere nicht gehört werden könnte?

Nein, sagte er.

Und ich glaube es bis jetzt wenigstens, fuhr ich fort, dass auch die meisten anderen Sinne, um nicht zu sagen keiner, keines solchen Etwas bedürfen; oder kannst du eines angeben?

Ich wenigstens nicht, antwortete er.

Von dem Sinn des Gesichtes und der sichtbaren Welt siehst du aber ein, dass er eines solchen bedarf?

Wieso?

Wenngleich in Augen sich ein Sehvermögen befindet und der Besitzer es zu gebrauchen sucht, wenngleich andererseits auch eine Farbe vorliegt: so weißt du, dass, falls nicht ein eigens dafür geschaffenes drittes Etwas vorhanden ist, der Gesichtssinn nichts sieht und die Farben unsichtbar sind.

Nun, was verstehst du denn unter diesem »Etwas« da? fragte er.

Was du bekanntlich, sagte ich, Licht heißest.

Ja, richtig bemerkt, sprach er.

Nach keinem schlechten Vorbild also ist der Gesichtssinn und das Vermögen des Gesehenwerdens durch ein edleres Band verbunden als bei den übrigen Verbindungen, wofern das Licht nichts Unedles ist.

Nein, wahrlich, antwortete er, das ist es auf keinen Fall.

Welchen der himmlischen Götter kannst du nun als Urheber davon angeben, dessen Licht nämlich erstlich uns den Gesichtssinn ganz klar sehen macht und zweitens auch die sichtbaren Gegenstände sehen lässt?

Keinen anderen, erwiderte er, als den du sowohl wie die übrige Welt dafür ansiehst: denn nach dem Sonnengott fragst du offenbar.

Ist nun das naturgemäße Verhältnis des Gesichtes zu dem Sonnengotte folgendes?

Welches?

Nicht ein Sonnengott ist der Gesichtssinn, weder er selbst noch das Ding, worin er sich befindet, was wir bekanntlich Auge nennen.

Ja, freilich nicht.

Aber am sonnenartigsten ist er doch wohl unter allen Sinneswerkzeugen.

Ja, das allerdings.

Und nicht wahr, das Vermögen, welches er besitzt, erhält er von dorther wie durch einen Kanal gespendet?

Jawohl.

Nicht wahr, auch der Sonnengott ist kein Gesichtssinn, wohl aber die Ursache davon und wird von eben diesem gesehen?

Ja, sagte er.

Unter dieser Sonne also, fuhr ich fort, denke dir, verstehe ich die Kopie des Guten, die von dem eigentlichen wesenhaften Gut als ein ihm entsprechendes Ebenbild hervorgebracht worden ist: was das eigentliche Gute in der durch Vernunft erkennbaren Welt in Bezug auf Vernunft und auf die durch Vernunft erkennbaren Gegenstände ist, das ist diese seine Kopie in der sinnlich sichtbaren Welt in Bezug auf Gesicht und sichtbare Gegenstände.

Wie? sprach er: Erkläre mir es noch!

Wenn man die Augen, entgegnete ich, nicht mehr auf jene Gegenstände richtet, auf deren Oberfläche das helle Tageslicht scheint, sondern auf jene Dinge, worauf nur ein nächtliches Geflimmer fällt, so sind sie, weißt du, blöde und scheinen beinahe blind, als wäre ein helles Sehvermögen in ihnen nicht vorhanden.

Ja, sicher, sprach er.

Wenn man sie aber darauf richtet, worauf die Sonne scheint, so sehen sie, meine ich, dann ganz deutlich, und in eben denselben Augen scheint dann wieder ein Sehvermögen sich zu befinden.

Freilich.

Dasselbe Verhältnis denke dir nun auch so in Bezug auf die Seele: Wenn sie darauf ihren Blick heftet, was das ewig wahre und wesenhafte Sein bescheint, so vernimmt und erkennt sie es gründlich und scheint Vernunft zu haben; richtet sie ihn aber auf das mit Finsternis gemischte Gebiet, auf das Reich des Werdens und Vergehens, so meint sie dann nur, ist blödsichtig, indem sie sich ewig im niederen Kreis der Meinungen auf und ab bewegt, und gleicht nun einem vernunftlosen Geschöpf.

Ja, dem gleicht sie dann freilich.

Was den erkannt werdenden Objekten Wahrheit verleiht und dem erkennenden Subjekt das Vermögen des Erkennens gibt, das begreife also als die Wesenheit des eigentlichen (höchsten) Guten und denke davon: Das eigentliche Gute ist zwar die Ursache von reiner Vernunft-Erkenntnis und Wahrheit, sofern sie erkannt wird; aber obgleich beide (Erkenntnis und erkannt werdende Wahrheit) also etwas Herrliches sind, so musst du unter ihm selbst noch etwas weit Herrlicheres vorstellen, wenn du davon eine ordentliche Vorstellung haben willst.

Ferner, wie es vorhin in unserem Bild seine Richtigkeit hatte, Licht und Gesichtssinn für sonnenartig zu halten, sie aber als Sonne sich vorzustellen nicht richtig ist, so ist es auch hier recht, jene beiden, reine Vernunft-Erkenntnis und Wahrheit, für gutartig zu halten, aber sie, welche von beiden es auch sei, als das eigentliche höchste Gut sich vorzustellen, unrichtig; nein, das Wesen des eigentlichen Guten ist weit höher zu schätzen.

Schwer zu raten, sagte er, ist die Herrlichkeit, von der du da sprichst, wenn sie erstlich die Quelle von reiner Erkenntnis und Wahrheit ist und dann noch über diesen beiden an Herrlichkeit stehen soll; denn ein Sokrates kann, versteht sich, nicht Sinnenlust unter jenem höchsten Gut verstehen.

Versündige dich nicht! sprach ich. Nur noch weiter das Bild von jenem höchsten Gut von dieser Seite betrachtet!

Von welcher?

Du wirst wohl einräumen, glaube ich, dass die Sonne den sinnlich sichtbaren Gegenständen nicht nur das Vermögen des Gesehenwerdens verleiht, sondern auch Werden, Wachsen und Nahrung, ohne dass sie selbst ein Werden ist?

Das ist sie nicht!

Und so räume denn auch nun ein, dass den durch die Vernunft erkennbaren Dingen von dem eigentlichen Guten nicht nur das Erkanntwerden zuteil wird, sondern dass ihnen dazu noch von jenem das Sein und die Wirklichkeit kommt, ohne dass das höchste Gut Wirklichkeit ist: es ragt vielmehr über die Wirklichkeit an Hoheit und Macht hinaus.

Da rief Glaukon mit einem feinen Wortwitz aus: »Oh Gott Apollon, welch übernatürliches Übertreffen

Daran, erwiderte ich, ist niemand anders als du schuld durch die Nötigung, nur meine subjektiven Meinungen über jenes höchste Gut zu äußern.

Und höre ja nicht auf, sprach er, das Gleichnis in Bezug auf die Sonne weiter zu verfolgen, wenn du noch etwas rückständig hast!

Ja, sprach ich, noch gar mancherlei habe ich rückständig.

Und übergehe davon, sprach er, doch nicht das geringste!

Ich glaube zwar, entgegnete ich, gar vieles ist zu übergehen; indessen, soweit es gegenwärtig in meinen Kräften steht, will ich nichts mit Willen auslassen.

Ja nicht! sagte er.

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Aventin