Symbolik des Geisteslebens

Symbolik des Geisteslebens · R.M.F · Alltagspsychologie

Nicht nur das Gefühlsleben, auch die geistige Eigenart des Menschen hat ihre Symbolik. Grad und Art der sinnhaften Veranlagung, der Fantasie, der Abstraktionsfähigkeit und vieles andere mehr offenbart sich mit untrüglicher Sicherheit in Wohnung und Kleidung, in Umgang und Sitten, in Kunstwerken und religiösen Gebräuchen.

Wie die Anlagen des Gemüts und Geistes, so kreuzen sich ihre Symbole in mannigfacher Weise, und innerhalb und neben der Gefühlssymbolik hat die Eigenart des Geistes Gelegenheit genug, sich auszuwirken. Nur einige Beispiele mögen das illustrieren.

Sinnesmensch:

Die Symbolik des Sinnesmenschen ist sinnhafter Art. Er versinnlicht auch das Abstrakteste. Er muss sich von seinem Gott ein sichtbares Bildnis machen, und deshalb neigen einfache Menschen oftmals zum Fetischismus in der Religion, zur Sinnhaftigkeit in der Kunst, und von der Wissenschaft verstehen sie nur das, was anschaulich, konkret zu denken ist.

An sekundären Symbolen bevorzugen sie alles sinnhaft Berührende, vor allem Farben, Klänge und Düfte. Die Gegenwart ist ihre mächtige Göttin; nur das zeitlich und räumlich Nahe ist ihnen lebendig. Ihre Welt ist ihre nächste Umgebung, soweit sie sie mit den Sinnen ergreifen: Ferne, Vergangenheit und Zukunft sind ihnen blasse Schemen.

Abstrakter Mensch:

Der Gegensatz zum Sinnesmenschen ist der abstrakte Mensch, und daher ist seine Symbolik der des Sinnesmenschen strikt entgegengesetzt. Er umgibt sich mit abstrakten Symbolen und macht selbst das Sinnhafte unfarbig, schematisch und begrifflich. Er verwirft jede anschauliche Darstellung der Gottheit: sein Gott ist Idee, in der Kunst sucht er Ideen und in der Wissenschaft nicht konkrete Tatsachen, sondern Regeln, Gesetze und Abstraktionen.

Raum und Zeit sind ihm nur Erscheinungen, keine Wirklichkeit: er lebt in einer grauen, zeit- und raumlosen Welt, in seinen Gedanken von der Welt. Daher erscheint dem Sinnesmenschen die Umwelt des Abstrakten nüchtern, grau, gespensterhaft, während der abstrakte Mensch selbst sie nicht so empfindet, sondern sich wohl fühlt, ja sich berauschen kann an seinen farblosen Ideen, die ihm allein als tief vorkommen, wohingegen ihm die Welt des sinnhaften Menschen als eitler, oberflächlicher Flitterkram erscheint.

Fantasiemensch:

Der Typus des Fantasiemenschen, dem wir hier auch den Erinnerungsmenschen zuordnen, liebt solche Symbole vor allem, die seiner Fantasie den weitesten Spielraum lassen und ihr die stärkste Anregung geben. Sein Feld ist vor allem die Symbolik zweiten Grades; je weiter gespannt die Assoziationen sind, um so stärker fesseln sie ihn.

Ihm wird in gesteigertem Maß die ganze Welt Symbol, weil seine Fantasie überall symbolische Beziehungen sucht und findet. Die so entstehende Vieldeutigkeit und Unklarheit der Symbole ist ihm ein Reiz mehr.

Diesem Typus gehört vor allem die romantische Geistesart an, die sich ihres symbolhaften Erlebens auch völlig bewusst ist. Der Romantiker wittert in allen Dingen jenseits ihrer konkreten Wirklichkeit tiefere Bedeutungen, Unfassbares und Unaussprechbaren.

Die Dinge haben für ihn über ihr unmittelbares Dasein und ihre natürliche Beziehung zur Seele hinaus noch zahllose weitere Bedeutungen. Farben und Töne sind nicht bloß sinnhafte Erlebnisse; sie bedeuten noch alles mögliche mehr: Unendliches und Übernatürliches, Zeitliche und räumliche Fernen sind der Lieblingsaufenthalt fantastischer Geister, ihre Welt ist erfüllt von Träumen, Märchen und Spuk, in denen sich die romantische Gemütsart die ihr adäquaten Symbole schafft.

Man findet diesen Typus etwa in Schumanns Musik, in der Dichtung des Novalis, in der Philosophie Schellings und vieler ihrer Geistesverwandten.

Symbolik des Geisteslebens – R.M.F – Alltagspsychologie

Eifer ist das Beruhigungsmittel für das Bewusstsein der Mittelmäßigkeit.

Henry Kissinger