Maske und Rausch · Kunst und Religion

Maske und Rausch in Kunst und Religion · Alltagspsychologie

Es wurde bereits erwähnt, dass es ein Verkennen des inneren Wesens des Lebens wäre, wollte man den Formen der Selbstentäußerung, in Rausch und Maske, nur verächtliche Spielarten sehen, an die man vielfach zuerst denkt,wenn man Begriffe wie Maske und Rausch verwendet.

Es sei darum hier gezeigt, in welcher Weise die beiden Formen der Selbstentäußerung in den höchsten Kulturformen, in Kunst und Religion, sich auswirken können.

Kunst:

Man hat zwei Formeln gefunden, um das ästhetische Verhalten zu deuten: Einfühlung und Kontemplation.

Nach der Einfühlungslehre wäre das künstlerische Erleben ein Sicheinfühlen des ICH in fremde Lebensformen, seien es die Gestalten eines Dramas, einer Erzählung oder eines Bildes, seien es die Melodien eines Musikstücks oder die Linien eines Ornaments, die wir im Einfühlen beleben und beseelen.

Nach der Kontemplationslehre wäre Kunsterleben wunschloses Sichversenken im reinen Anschauen, worin das ICH mit seinen Wünschen und Begehrungen entschwindet.

So verschieden beide Theorien sind, sie haben das eine gemeinsam, dass das ICH in seiner gewöhnlichen Form im Kunsterleben verblasst, dass ein neues ICH-Erleben in der Kunst an seine Stelle tritt.

Durch Einfühlung lebt es fremdes Erleben mit, in fremder ICH-Form sich auswirkend, es maskiert sich gleichsam, untertauchend in dem im Kunstwerk gestalteten Leben.

Wie sich der Schauspieler in die Gestalt Wallensteins oder des Max Piccolomini einfühlt und deren Maske trägt, so fühlt der Zuschauer in freilich distanzierterer Form sich in alle Gestalten des Dramas zugleich ein, poltert mit Illo, intrigiert mit Oktavio und schwärmt mit Thekla.

In der Musik erlebt er den in Melodien und Rhythmen, in Harmonien und Aufschwüngen gestalteten Ausdruck als seinen eigenen mit, er übernimmt ihn willig und lässt die Seele, die er nicht als die eigene empfindet, jauchzen und klagen, schwärmen und trauern.

In der Kontemplation sucht der Kunstfreund sein ICH, ja alle ICHheit zu vergessen, in reiner Anschauung den Dingen selbst hingegeben.

In berühmt gewordenen Sätzen hat Schopenhauer dieses Verblassen der ICHheit, diesen Rausch geschildert in dem der Wille zum Schweigen kommt.

Religion:

Ebenso wie bei der Betrachtung der Kunst darf nicht missverstanden werden, wenn auch in der Religion die große Bedeutung von Maskerade und Rausch aufgezeigt wird, zumal ja in beiden nur Vorstufen dauernder seelischer Wandlung gesehen wird, und diese ist es ja, was die meisten Kultur-Religionen erstreben.

Wie immer man Religion definieren mag: im Hintergrund aller Definitionen muss stets die Grund-Erkenntnis stehen, dass sie gefühlsmäßiges Inbeziehungstreten der Seele zu einer jenseits der gewöhnlichen Erfahrung erahnten Überwelt ist.

Dieser Rapport wird am stärksten erlebt in allen Zuständen, die die Grenzen des ICH zu überfluten scheinen. Infolgedessen ist seit Urzeiten her der Rausch ein verbreitetes Mittel, um mit jener transzendenten Überwelt in Beziehung zu treten.

Aber auch die Maske ist ein Mittel, sich künstlich in eine symbolhaft transzendente Welt einzuleben. Dann man will die geglaubte Überwelt nicht in abstrakter Form denken, man will sie erleben, und da sie nicht mit körperlichen Füßen zu erwandern ist, so sucht man geistige Schwingen, um sie wenigstens gleichnisweise zu erfliegen.

Man hat am Gleichnis, hat am Bild genug, vorausgesetzt, dass diese im Rausch erlebt werden. Rausch ist es, edler, mystischer Rausch, den ein christlicher Dom in jedem wirken soll, der ihn gläubig betritt.

Süße Weihrauchdüfte umfangen den Gläubigen, geheimnisvolles Dunkel, vom farbig-glühenden Licht der bunten Glasfenster seltsam durchbrochen, nimmt ihn auf, Musik aus unsichtbaren Höhen flutet herab, und im so erweckten Zustand seliger Betäubung vergisst der Fromme sein Alltagssein und nimmt teil an einem gehobenen, gleichsam überirdischen Dasein.

In den Kulturen und Riten anderer Religionen tritt die Maske noch deutlicher hervor, Bacchanten und Bacchantinnen stürmten in der dionysischen Maske einher und die unlängst aufgefundene Mithras-Liturgie hat uns ein kompliziertes Schauspiel religiösen Charakters kennen gelehrt, das jeder Novize durchmachen musste.

Die christlichen Mönche gehen im Gewand der Jünger Jesu einher, und selbst die Freimaurer führen ihre Neulinge durch ein seltsames Maskenspiel und mancherlei Zeremonien hindurch, um durch die Maske gleichsam einen neuen Menschen zu erzeugen.

Ähnlich scheinen auch die exoterischen Weihen moderner Theosophen und Anthroposophen zu verlaufen.

Natürlich kommt es bei all diesen Kulten nicht auf vorübergehende ICH-Überwindung an, sondern auf dauernde Wandlung, und es bleibt für den Psychologen nur die Frage: ist diese überhaupt möglich? Können wir wirklich in unserem alten Leib eine neue Seele gewinnen?

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Autor: R.M.F

Bewertung des Redakteurs:
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Schlaf ist die beste Meditation.

Dalai Lama