Kleidung

Kleidung Nutzen und Ausdrucksform · Alltagspsychologie

Unter den vielen Attributen, durch die der Mensch seine Überlegenheit über das Tier zu kennzeichnen sucht, hat er verhältnismäßig wenig betont, dass er allein ein Kleidung tragendes Wesen ist.

Richtiger ausgedrückt müsste es heißen, dass er eine nur dürftige Körperbekleidung von der Natur erhalten hat und daher gezwungen ist, den Tieren, die er tief unter sich zu sehen pflegt, ihre Pelze, Federn, Wolle und Kokonfäden zu rauben, um seine menschliche Blöße zu bedecken.

Tatsache ist, dass die Tiere nicht nur von Natur aus Kleidung haben, dass diese auch bei ihnen bereits alle Funktionen erfüllt, die sie beim Menschen erst zu besorgen hat, das heißt dem Leben in seinen sieben Urfunktionen zu dienen.

Hier sind zu nennen: die innere Betriebserhaltung (vor allem Wärme), die Sicherung (Panzer oder Schutz), der Erwerb (Lockfarbe), die Gesellung (Uniformierung), der Kampf (als Schreckaspekt), die erotische Werbung und meist damit in Verbindung auch die Selbsterhöhung.

Kurz, man sieht die vielseitige Funktion der Kleidung schon im Tierreich, man wird auch sehen, dass die Kleidung des Menschen, auf die dieser als seine eigene Erfindung so mächtig stolz ist, in fast allen ihren Formen im Tierreich schon vorgebildet ist.

Es gibt kaum eine Modetorheit, für die sich nicht eine Entsprechung im Tierleben finden würde, und unschwer lassen sich in der Tierwelt sogar unsere absurdesten Modeformen nachweisen.

Lacht man über abnorm hohe menschliche Hüte, nun, die Zähne des Mammuts, das Geweih des Hirsches, der Federputz vieler Vögel, die Riesenfühler so mancher Insekten nehmen es mit ihnen leicht auf.

Spottet so mancher über die Unnatur von Damenschleppen, so kann man dagegen auf die Natur des Pfauenschweifs und der abnormen Schwänze mancher Amphibien verweisen.

Tadeln fromme Asketen die bunten Flitter weltlicher Festkleidung, so können unfromme Leute darauf verweisen, dass Gott ja die Vögel und die Blumen mindestens ebenso bunt herausgeputzt hat, ja, dass der Mensch sogar nach der Bibel berechtigt ist, sich von Tieren die Mittel für seine Eitelkeit liefern zu lassen.

Schon im Tierreich scheint die Tendenz zu wirken, ursprüngliche Nutzformen so zu steigern, dass dieser Nutzen zuweilen ins Gegenteil verkehrt wird und sogar die Gattung vernichtet.

In der menschlichen Kleidung jedenfalls lässt sich ganz deutlich das Übergehen von ursprünglichen Nutzformen in rein ästhetische Gebilde aufzeigen, es lässt sich darlegen, dass alle Urtriebe des Lebens sich weit über den praktischen Nutzen hinaus symbolischen Ausdruck schaffen, was denn — wie alle Symbolik — wieder einen sekundären Nutzwert auf Grund gesellschaftlicher Wirkung erhält.

Gewiss ist die Kleidung zunächst ein Ausdruck des subjektiven Lebens, sie wird aber ein Faktor von über subjektiver Bedeutung, indem sie wichtigste soziale Funktionen übernimmt.

Wir gehen an dieser Stelle zunächst dem Symbolwert der Kleidung nach und können, da die Kleidersymbolik nur eine Unterform der Symbolik ist, natürlich auch nur deren wichtigste Funktionen in der Kleidung wiederfinden.

Wie die anderen Symbole wurzelt auch die Kleidersymbolik im unmittelbaren Körperausdruck. Da das Kleid dem Körper und seinen Gliedmaßen anliegt, deren Bewegungen je nachdem unterstützt, sichert, verbirgt oder hemmt und jedenfalls für den Eindruck auf andere nicht unbeträchtlich abändert, so ist die Kleidersymbolik zunächst Instrumentalsymbolik, weil sie gleichsam ein Instrument darstellt, das den direkten Körperausdruck zu stärken oder zu schwächen vermag.

Man sieht in der Regel dem Kleid bereits von außen an, was die Hauptbeschäftigung seines Trägers ist. Die Arbeitskleidung des Handwerkers hat den Zweck, seine Bewegungen möglichst frei sich auswirken zu lassen und drückt das auch sichtbar aus.

Die Waffenrüstung des Ritters hatte alle Angriffs- und Verteidigungsakte, die dieser auszuführen hatte, zu unterstützten, was sich wiederum in ihrer Form ausprägt.

Die Kleidung der Kokette verlängert in Seide und Fächer hinein den gleichen Lebenswillen, den ihre körperliche Selbstdarstellung oder das Gestenspiel ihrer Hand offenbaren.

Dass die Symbolik weit über das bloße Nützliche hinausgreift, geht daraus hervor, dass alle jene Ausdrucksgewandungen vielfach auch bei Gelegenheiten getragen werden, wo sie gar keinen Nutzen verfolgen, ja, wo sie sogar schädlich sind. Die Kleidung macht wie alle dinglichen Symbole den Ausdruck stereotyp und lässt daher oft die Geste zur Grimasse erstarren.

Auch die Gegenstandssymbolik ist der Kleidung nicht fremd, doch kommt sie in der Regel mehr auf niederen Kulturstufen zum Ausdruck. Einfache Menschen lassen sich Bilder ihrer Lieblingsbeschäftigungen auf Rücken oder Bauch tätowieren oder auf den Schild malen.

In höherer Kultur gilt derartiges allerdings als zu grob, nur in geschlossenem Medaillon trägt die Dame das Bild des Geliebten noch am Hals. Meist wird ein Assoziationssymbol gewählt, das nur feinerer Einfühlung verständlich ist.

Nicht mehr das Bild des geliebten Menschen selbst wird getragen, nur eine Locke von ihm, seine Lieblingsfarbe, seine Lieblingsblume, ein Geschenk von ihm, irgend etwas, was mit ihm verbunden ist.

Kleidung Nutzen und Ausdrucksform · Alltagspsychologie

Die Bescheidenheit ist eine Eigenschaft, die vom Bewusstsein der eigenen Macht herrührt.

Paul Cézanne