Der junge Fuchs

Der junge Fuchs · Fabel · Ulrich Megerle · Wunsch

»Vater«, sagte eines Tages der junge zum alten Fuchs, »Vater, ich will fliegen!«

»Du junger Fantast!« antwortete der Alte, »du vorwitziger Bengel! Was fällt dir ein?«

»Vater, ich will aber fliegen«, wiederholte der kleine Narr.

»Du Naseweis, du Grünschnabel«, schalt der Alte, »du hast nicht so viel Verstand in deinem Kopf wie Haare an deinem Schweif, aber du willst fliegen!«

Der junge Fuchs schwieg, aber er hörte nicht auf, den Vögeln nachzugucken, und an dem Tag, als er seine erste Maus gefangen hatte und sich daher für sehr erwachsen und klüger als die Alten hielt, sagte er wieder: »Vater, ich will fliegen!«

»Narr«, antwortete der alte Fuchs, »weißt du denn nicht, dass man dazu Flügel braucht?«

»Vater, ich will fliegen«, beharrte der eigensinnige Fuchs. »Und um meine Flügel lass dir keine grauen Haare wachsen. Du hast ohnehin schon zuviel weiße Haare in deinem Pelz.«

Der junge Flederwisch verfertigte sich sodann ein paar Flügel aus den Hühnerfedern, die vor dem Fuchsbau lagen. Dann stieg er auf einen Turm, schwang sich zum Fenster hinaus und schlug heftig mit den selbst gebastelten Flügeln.

Aber das alles half nichts, er sauste wie ein Stein auf den Boden hinunter. Unglücklicherweise hatte gerade zur selben Zeit unter dem Turmfenster ein Rechenmacher sein Standquartier bezogen und dort seine Waren ausgebreitet, einen Rechen mit spitzen Zähnen neben dem anderen.

Der fliegende Fuchs stürzte geradewegs in die Rechenzähne hinein, und, nachdem er sich von seinem Schrecken und seiner Betäubung erholt hatte, schlich er leicht winselnd und blutend von dannen.

»Nun, Bürschchen«, fragte ihn der alte Fuchs, »wie gefällt dir das Fliegen?«

»Das Fliegen«, antwortete das Füchslein noch immer leicht benommen, »war herrlich und ist mir außerordentlich sanft vorgekommen. Aber das Landen hat der Teufel erfunden!«

»Das geschieht dir recht«, wies ihn der Vater zurecht, »warum hast du nicht auf mich gehört? Oder glaubst du, dass wir Alten nicht doch ein bisschen mehr im Kopf haben als so ein junger Naseweis wie du?«

Der junge Fuchs · Fabel · Ulrich Megerle (Abraham a Sancta Clara) · Wunsch

Der Sinn des Lebens beruht darin, dass man das Bewusstsein eines persönlichen Lebens eintauscht gegen das Bewusstsein Gottes.

Leo Tolstoi