Reicher Mann · Armer Mann

Reicher Mann · Armer Mann · Afrika Story

Es war einmal ein armer Bauer, dem wuchs nichts als Fonio auf seinen Feldern, und so konnte er auch keinen Reichtum erwerben. Er sehnte sich aber nach Reichtum und Glück und weinte deshalb oft die halbe Nacht aus unerfülltem Verlangen.

Auch hatte er noch nicht einmal genügend Geld, um eine Frau zu ernähren. Täglich schaute er über die Straße auf seinen Nachbarn, den reichen Bauern, und dabei füllte sich sein Herz immer mit viel Neid.

Er beobachtete auch, wie sich schöne Frauen um den Reichen kümmerten und für ihn kochten und seine Felder bestellten. Auf dem Anwesen des Reichen war alles schön gerichtet und viele Kinder spielten im Hof.

Da beschloss der arme Bauer Freundschaft mit dem Reichen zu schließen, in der Hoffnung, dieser würde ihm vielleicht etwas Geld leihen, damit er sich auch eine Frau halten könne. Er hoffte dadurch sein Leben allmählich zu verbessern.

Da nahm der arme Bauer den größten Teil seiner Ersparnisse und ging ins nächste Dorf, wo er das schönste Gewand kaufte, das er gerade noch bezahlen konnte. Dieses brachte er am nächsten Morgen seinem Nachbarn, dem reichen Mann, und schenkte es ihm mit den Worten: »Bitte, nimm mein Geschenk an, lieber Nachbar. Ich bin dich besuchen gekommen, weil ich gern dein Freund werden möchte.«

Der reiche Mann lächelte leicht, nahm das Geschenk an, aber als er dann zu seines Nachbarn Haus hinüberblickte und sah, wie armselig es war, drehte er dem armen Mann den Rücken zu und sagte: »Ich nehme zwar deine Achtung an, weil sie mir gebührt. Aber zu so einem armseligen Kerl, wie du es bist, kann ich als Reicher nicht ein Freund sein.«

Mit großer Trauer und voller Wut im Bauch ging der arme Mann sodann zum Fluss, setzte sich ans Ufer und weinte bitterlich. Seine Tränen fielen ins Wasser, und da erschien zu seinem Erstaunen eine wunderbare dunkle und schöne Gestalt. »Deine Tränen haben mich angelockt. Ich bin die Flussgöttin und gehorche deinen Befehlen. Was wünscht du dir?« fragte sie.

»Oh, du meine gute Göttin, ich bin arm und allein, hab keine Frau und auch kein Geld!« schluchzte der arme Mann. Da gab ihm die Göttin einen Beutel und sagte: »Hier, nimm diesen Beutel mit Bohnen. Wenn du heimkommst, wird er voller Geld sein.«

Freudig dankte ihr der arme Mann und ging fröhlich singend, den Beutel fest an sich gedrückt, nach Hause. Zu Hause angekommen, fand er, dass die Bohnen tatsächlich zu Geld geworden waren.

Sogleich lief er zu seinem reichen Nachbarn hinüber und sagte zu ihm: »Schau her, jetzt bin ich genauso reich wie du. Jetzt kann ich mir sogar eine Frau leisten und auch dein Freund werden.«

»Oh, wie ich mich freue für dich«, antwortete der Reiche und fügte hinzu: »Wenn du aber dein Geld verdoppeln willst, dann solltest du es lieber mir überlassen. Ich kenne mich damit nämlich besser aus wie du. Gib es mir und komm in einem Monat wieder zu mir, dann wirst du so viel Geld besitzen, dass du dir damit alle deine Wünsche erfüllen kannst.«

Die Augen des törichten Bauern wurden groß und größer und leuchteten schließlich wie Feuer bei dem Gedanken, dass sich seine Wohlhabenheit auch noch verdoppeln würde. Ohne weiter zu überlegen übergab er dem reichen Nachbarn seinen Beutel mit Geld, ging nach Hause und wartete ungeduldig, bis die dreißig Tage um waren.

Am Ende der abgemachten Zeit lief er freudig und voller Erwartung seines großen Glücks zu seinem Nachbarn hinüber, um sein Vermögen abzuholen. Zu seinem großen Entsetzen aber war der Nachbar in der Zwischenzeit taub und stumm geworden. Er konnte weder hören noch sprechen und gab nur noch törichte Laute von sich.

So laut der arme Mann auch versuchte auf sich aufmerksam zu machen und ihn an den Beutel mit dem Geld zu erinnern, schüttelte sein reicher Nachbar nur verständnislos den Kopf. Schließlich blieb ihm nichts anderes übrig als seinen reichen taubstummen Nachbarn zum Richter führen zu lassen.

Aber auch der Richter konnte die Zeichen des Taubstummen nicht entziffern und lies deshalb nach einem klugen alten Mann rufen, der alle Zeichen und Töne von Taubstummen verstand. Dieser Dolmetscher versuchte nun ebenfalls sich mit allen möglichen Zeichen und Gestiken mit dem reichen Mann zu verständigen, aber nichts half.

Er übersetzte ihm auch mehrmals auf verschiedene Art und Weise den Text: »Hast du Geld von diesem armen Bauern angenommen?«

Kopfschütteln und undefinierbare Laute waren die Antwort des Reichen. Da wandte sich der kluge alte Dolmetscher wieder dem Richter zu und sagte ganz laut zu diesem: »Der Mann hat mir unmissverständlich mitgeteilt, dass sie ein ganz dummer und unfähiger Richter sind.«

»Das ist nicht wahr, das habe ich nicht gesagt!« rief jetzt der Reiche. Der Richter lachte, fällte sein Urteil und wies den Reichen an, dem armen Bauern jetzt die doppelte Menge des versprochenen Geldes zu übergeben.

Zum armen Bauern gewandt aber sagte der Richter: »Lieber Mann, merke dir, ein Vermögen in der Hand ist immer besser als zwei in der Luft oder in der Zukunft!«

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Sich der Unbewusstheit des Lebens bewusst zu sein, ist die älteste Pflicht unserer menschlichen Intelligenz.

Fernando Pessoa